17. Wahlperiode 25. April 2022
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
bitte erlauben Sie mir noch einige persönliche Worte.
Zunächst möchte ich mich ganz herzlich für die einstimmige Wahl zur Landtagspräsidentin bedanken. Mir ist die Verantwortung dieses Amtes bewusst. Ich werde dieses Amt mit Demut, aber auch mit großer Freude ausüben. Das Amt bringt eine hohe Verantwortung mit sich, die mit gebotener Neutralität und der Repräsentation des Hauses einhergeht. In dieser Verantwortung möchte ich dieses Amt in den nächsten fünf Jahren ausüben.
Dieses Haus, dieser Landtag, dieses Parlament ist ein Ort der Demokratie. Das Herzstück der Demokratie.
Als frei gewählte Abgeordnete sind wir, Sie und auch ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, mitverantwortlich für unsere Demokratie. Und als solche sollen und müssen wir in erster Linie auch kritisch mit uns selbst sein.
Mit Blick auf die Wahlbeteiligung der diesjährigen Landtagswahl lässt sich festhalten, dass diese mit 61,4 Prozent den zweitniedrigsten Wert seit 1947 aufzeigt. Das nimmt uns in die Pflicht, den Bürgerinnen und Bürgern politische Vorgänge näher zu bringen.
Demokratie ist mehr als der Gang zur Wahlurne. Dennoch ist die Wahl der zentrale Ausdruck der politischen Akzeptanz.
Demokratie darf nicht erstarren. Sie bedarf der ständigen Erneuerung. Demokratie ist also nicht nur eine bestimmte Herrschaftsform, sondern muss sich in der „politischen Praxis“ immer wieder neu bewähren.
Dafür bedarf es gemeinsamer Regeln, Werte und Prinzipien.
- Freiheit und Gleichheit,
- Partizipation,
- Sichtbarkeit und Öffentlichkeit,
- gewaltfreie Austragung und Bewältigung von Konflikten,
- Toleranz und Reformen, um nur einige zu nennen.
Wie wertvoll das ist, zeigt sich nicht nur mit Blick auf den derzeitigen Krieg in der Ukraine, sondern auch mit Blick auf den weltweit festzustellenden Rückgang von Demokratien bei gleichzeitiger Zunahme von Autokratien und Diktaturen.
Der Landtag, dieses Plenum ist der Ort, an dem die zentralen Debatten stattfinden müssen. Es ist der Ort, an dem diskutiert und über Gesetze und Änderungen, die unser gesellschaftliches und politisches Leben betreffen, gestritten werden muss.
Es muss auch der Ort sein, an dem komplexe Probleme und Herausforderungen erklärt, bewertet und durch Aushandlungsprozesse und Kompromisse gelöst werden müssen.
Für mich ist das Finden von Kompromissen und gemeinsamen Lösungen aber nicht die Suche nach dem „kleinsten gemeinsamen politischen Nenner“. Sondern ganz im Gegenteil die Suche nach dem „größten gemeinsamen Nenner“. Nur so können wir Vertreterinnen und Vertreter des ganzen Volkes sein.
Und Demokratie ist nicht exklusiv.
Sie findet nicht nur hier im Landtag, sondern auch in der Zivilgesellschaft, in Vereinen und Verbänden, im Freundes- und Familienkreis statt.
Demokratie ist inklusiv.
Als solche muss sie von uns allen, von jeder und jedem Einzelnen getragen und bewahrt werden.
Ich möchte die nächsten Jahre dafür nutzen, einen Schwerpunkt auf die Partizipation zu setzen. Um Bürgerbeteiligung zu stärken und unseren Bürgerinnen und Bürgern Politik und Demokratie näher zu bringen. Als Ort, als politische Praxis und als Lebensform.
Deshalb möchte ich ein „offenes und lebendiges Haus“ der Demokratie. Einen Landtag, der allen offensteht und mit Leben gefüllt wird. Damit Bürgerinnen und Bürger wieder mehr Berührungspunkte mit der Politik finden und Hürden abgebaut werden.
Der Landtag soll auch Veranstaltungsort sein – für Schülerinnen und Schüler, für Planspiele, Erlebnispädagogik und vieles mehr.
An dieser Stelle möchte ich ganz herzlich Stephan Toscani für seine Arbeit als Präsident danken. Sie haben den Weg hin zu einem offenen Landtag bereits geebnet und ihn zu einem erlebbaren Ort der Demokratie gemacht. Hieran möchte ich anknüpfen.
Ich möchte die Teilhabe voranbringen. Und daher müssen wir auch über neue Formen der Bürgerbeteiligung nachdenken.
Ich schlage deshalb vor, dass wir einen Bürger:innenrat etablieren, in dem die Jahrhundertaufgabe „Klimawandel“ und der Beitrag unseres Saarlandes zum Klimaschutz und der Bewältigung des menschengemachten Klimawandels gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern des Saarlandes in einem offenen und partizipativen Prozess erörtert wird und möglichst viele, wenn nicht sogar alle mitgenommen werden, gerade auch im Hinblick auf den nötigen Strukturwandel und seine sozialen Auswirkungen.
Die Grundsatzdebatte und die Grundsatzentscheidung darüber müssen wie hier im Parlament führen., um die genaue Themensetzung und Fragestellung zu erarbeiten.
Dabei geht es nicht um ein Abrücken vom repräsentativen Charakter unseres politischen Systems:
Ein Bürgerrat kann keinen legislativen Charakter haben. Aber gerade deshalb muss den Empfehlungen ein offener und ehrlicher Auseinandersetzungsprozess hier im Parlament vorausgehen und folgen.
Bereits in der vergangenen Legislaturperiode hatten wir eine intensive Auseinandersetzung zum gesellschaftlichen Megathema „Digitalisierung“. Eine Enquête-Kommission hat hervorragende Arbeit geleistet und einen sehr umfangreichen Bericht mit Handlungsempfehlungen vorgestellt, der auch in diesem Hause verabschiedet worden ist. An dieser Stelle möchte ich die Anregung meines Vorgängers erneuern, dass sich die Fachausschüsse nochmals mit den Empfehlungen beschäftigen und in ihre Arbeit mit einfließen lassen.
Demokratie lebt nicht nur von Partizipation, sondern auch von Öffentlichkeit und Transparenz.
Die zentrale Aufgabe des Parlamentes ist die demokratische Kontrolle der Landesregierung. Diese bedarf auch der Öffentlichkeit und Transparenz.
Um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Politik zu stärken, rege ich an, harte Transparenzregeln für den Landtag festzulegen.
Öffentlichkeit und Transparenz setzen voraus, dass Bürgerinnen und Bürger auch den nötigen Zugang zur Politik und zu Informationen erhalten.
Dazu gehört auch ein barrierefreier Zugang.
Bürgerräte, Enquête-Kommissionen und Transparenzregeln bringen einer offenen und inklusiven Demokratie nur wenig, wenn die Bürgerinnen und Bürgern die Sprache der Politik nicht verstehen. Politik muss verständlich sein.
Für alle Menschen und nicht nur für diejenigen, die sich tagtäglich mit ihr auseinandersetzen. Ich rege daher an, Politik und die nötigen Informationen auch in leichter Sprache zugängig zu machen.
Im Herzen Europas und in enger Zusammenarbeit mit unseren Partnern der Großregion bedeutet der Zugang zu Informationen auch die Übersetzung in unterschiedlichen Sprachen. Wenn wir Demokratie stärken wollen, müssen wir auch für diejenigen mitdenken, die in unserem schönen Saarland leben, auch wenn sie unsere Sprache noch nicht beherrschen.
Und damit komme ich zu meinem letzten Punkt. Einem Punkt, der mich persönlich betrifft und mich auch ganz persönlich stolz macht:
Frauen stellen mehr als die Hälfte der Bevölkerung dieses Landes. Dennoch werden sie immer noch strukturell benachteiligt und erhalten für die gleiche und gleichwertige Arbeit weniger Lohn und sind überdurchschnittlich von Altersarmut betroffen.
Ich bin nun die erste Frau, die das Amt der Landtagspräsidentin ausüben darf.
Es ist ein starkes Signal an alle Mädchen und junge Frauen, dass auch die Ministerpräsidentin weiblich ist. Daher ist es gerade besonders passend, dass am kommenden Donnerstag, der „Girls-Day“ auch hier im Landtag stattfindet.
Aber wir müssen als Politik und Gesellschaft noch einen weiten Weg gehen, um die Repräsentanz von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu stärken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
es ist unser gemeinsamer Auftrag diese Gesellschaft zusammenzuhalten und Politik für alle Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes zu gestalten. Wir alle, Regierungsfraktion und Oppositionsfraktionen, stehen gleichermaßen in der Verantwortung.
Lassen Sie uns streiten und debattieren. Im Namen der Demokratie und unter Wahrung demokratischer und auf gemeinsamen Werten gründenden Regeln.
In diesem Geiste wollen wir die Arbeit in der 17. Wahlperiode gemeinsam aufnehmen.
Vielen Dank.